Die Muskeln der meisten Säugetiere haben eine ausgeprägte rote Färbung. Wie intensiv dieses Rot ist, hängt entscheidend ab vom Gehalt eines lebenswichtigen Eiweissbausteins. Er heisst Myoglobin und ist eng verwandt mit dem Hämoglobin im Blut. Beide Moleküle können Sauerstoff binden, transportieren und am richtigen Ort zur Verfügung stellen. Myoglobin kommt ausschliesslich in Muskelzellen vor. Es übernimmt dort den Sauerstoff vom Hämoglobin und macht ihn verfügbar für die Umwandlung von chemischer Energie in Bewegung.
Die Andockstelle für das Sauerstoffatom ist ein Eisenatom. Dieses Eisen ist der Grund, weshalb Blut und Muskeln rot sind. Der Myoglobin-Gehalt ist höher und das Gewebe umso röter, je intensiver der Muskel gebraucht wird. Tiere, die sich viel und schnell bewegen, haben tiefrotes Fleisch, z.B. Wild oder Weiderinder. Bei Jungtieren und weniger aktiven Arten ist es entsprechend heller. Einen Einfluss auf den Eisengehalt hat auch die Ernährung. Deshalb fütterte man Mastkälber früher bewusst eisenarm, damit ihr Fleisch möglichst hell blieb. Das ist in der Schweiz seit 2013 verboten.
Der noblen Blässe der St. Galler Bratwurst hat das nicht geschadet, denn auch das Fleisch gesunder Kälber ist so hell, dass es die gewünschte Brätfarbe nicht beeinträchtigt. Für eine St. Galler Kalbsbratwurst IGP müssen mindestens 50 Prozent des verarbeiteten Muskelfleischs vom Kalb stammen. Viel mehr bringt aus kulinarischer Sicht übrigens keinen Vorteil, denn für ein aromatisches und geschmeidiges Brät braucht es unbedingt Schweinefleisch und Speck. Diese Zutaten sind weiss oder höchstens rosarot
Myoglobin ist ein Eiweiss und verändert sich, wenn es erhitzt wird. Dieser Vorgang ist uns allen vertraut. Ein blutrotes Steak wird graubraun, sobald seine Temperatur etwa 70 Grad erreicht.
Dass sich Fleisch mit Salz haltbarer machen lässt, entdeckten unsere Vorfahren schon vor Jahrtausenden. Wenn gewisse Bedingungen stimmten, behielt es dabei sogar seine rote Farbe. Der Grund dafür sind Bakterien, die aus Stickstoffverbindungen Nitrit herstellen. Im 19. Jahrhundert löste man das Rätsel. Das Nitrit wandelt das Myoglobin in eine stabile Form um, die ebenfalls rot ist.
Aus diesem Verständnis der natürlichen Prozesse entstand das Nitritpökelsalz, dank dem Fleisch nicht nur haltbarer wird, sondern seine rote Farbe auch während des Garens behält. Die appetitliche «fleischige» Farbe vieler Würste beruht auf diesem Effekt. Im Fachjargon der Fleichfachleute nennt man das Umrötung.
Das Brät der St. Galler Bratwurst wird aber bis heute gemäss alter Tradition gesalzen und gewürzt ohne Nitritzugabe. Die relativ geringe Menge von Myoglobin im Kalb- und Schweinefleisch verliert beim Brühen der Würste (etwa 70 Grad) alle Rottöne.